INVOCAVIT – 10. März 2019
Luther. Stadtkirche

Predigt: Hebräer 4, 14-16
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.
AMEN
Liebe Gemeinde!
Wer ist dieser? Wer ist dieser, dessen vom holländischen Maler van Dyck geschaffenes Bild (Original im KHM) unsere Kirche – und damit unsere Gottesdienste – beherrscht? Wer ist dieser … so viele Antworten:
 oben am Kreuz in drei Sprachen INRI = Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum
 „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns?“, also ein ganz gewöhnlicher Mensch wie wir alle, so fragten seine Verwandten und Bekannten
 das größte Vorbild der Menschheitsgeschichte, das sagen auch Atheisten wie z.B. H.G. Wells: „Wenn es darum geht, die Größe einer Person an ihren historischen Maßstäben zu messen, steht Jesus an erster Stelle; bei keinem Menschen stimmen Worte mit Taten so überein.“
 Wunderheiler – das war ja auch die Meinung vieler jüdischer Schriftgelehrter
 der letzte der jüdischen Propheten – das sagt der Islam
 … und wer sagt ihr, dass ich sei, fragt Jesus seine Jünger; „Du bist der Messias, der Christus Gottes“, fährt es aus Petrus heraus, der ihn dann trotzdem verraten hat
Wer ist dieser? Die Wahrheit konnten die Menschen erst durch jenes Ereignis erkennen, ohne das – wie Paulus so klar sagt – unser Glaube nichtig ist. Die Wahrheit hat Thomas erst damals erkennen können, als er dem Auferstandenen begegnet ist und Thomas so erschüttert war, dass er nichts anderes hervorbringen konnte als „Mein Herr und mein Gott“.
Und danach hat es über vier Jahrhunderte gedauert, bis das Konzil von Chalzedon 451 jene Formulierung gefunden hat, die heute als unfehlbar gilt in der katholischen und orthodoxen Kirche und Lehrgrundlage in unserer Kirche ist: die Zwei-Naturen-Lehre Christi: „Wir folgen also den heiligen Vätern und lehren alle einmütig, einen und denselben Sohn zu bekennen, unseren Herrn Jesus Christus. Derselbe ist vollkommen in der Gottheit und derselbe vollkommen in der Menschheit, derselbe wirklich Gott und wirklich Mensch. Er ist dem Vater wesensgleich nach der Gottheit und derselbe uns wesensgleich nach der Menschheit, in jeder Hinsicht uns ähnlich, ausgenommen die Sünde.
Eine ähnliche Formulierung enthält dann auch der Artikel 1 unseres Augsburger Bekenntnisses unter Einbeziehung des Heiligen Geistes (806.2).
Wer ist dieser? Damit kommen wir allmählich zum Hebräerbrief, in dem der für heute empfohlene Predigttext steht. Der Hintergrund dieses Briefes ist:
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Durch das Auftreten Jesu, durch seinen Tod und seine Auferstehung war die alte Ordnung abgelöst worden. Der ferne Gott war mitten unter die Menschen getreten. Gott konnte man sehen, hören und anfassen. Jesus sagt: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“
Aber nun war der Auferstandene aufgefahren in den Himmel. Man fühlte sich allein gelassen. Dazu kam noch die Verfolgung wegen des Glaubens an Jesus als den Messias.
Vor diesem Hintergrund richtet der Hebräerbrief an die bedrängten Gemeinden ein Wort der Ermahnung, das zugleich auch ein Wort des Trostes ist. Dieses Wort zeichnet einen Bogen der Glaubenslinie vom AT zum NT: Es weist darauf hin, dass mit Abraham die Linie der Väter des Glaubens beginnt. Diese Glaubenslinie überdauert die Linie des Moses, die sich auf Gesetz und Werke gründet. Die Glaubenslinie erfüllt sich in dem Mensch gewordenen Sohn Gottes, Jesus, und in allen Menschen, die an Jesus glauben.
Der Hebräerbrief nimmt das Alte Testament und die Priesterschaft sehr ernst, aber doch so, dass deutlich wird: Sie sind nur Vorläufer. Sie sind nicht mehr als das schwache Licht der Morgendämmerung. Mit Jesus Christus erscheint die helle Sonne und taucht die ganze Schöpfung in ein neues Licht. Die Glaubenden erlangen Einblick in das Unsichtbare. Genau das will uns unser Bibelabschnitt klar machen (Hebräer 4, 14-16):
Jesus, unser Oberster Priester, tritt bei Gott für uns ein 14 Lasst uns also festhalten an der Hoffnung, zu der wir uns bekennen. Wir haben doch einen überragenden Obersten Priester, der alle Himmel durchschritten hat und sich schon bei Gott, im himmlischen Heiligtum, befindet: Jesus, den Sohn Gottes.3 15 Dieser Oberste Priester ist nicht einer, der kein Mitgefühl für unsere Schwächen haben könnte. Er wurde ja genau wie wir auf die Probe gestellt – aber er blieb ohne Sünde.4 16 Darum wollen wir mit Zuversicht vor den Thron unseres gnädigen Gottes treten. Dort werden wir, wenn wir Hilfe brauchen, stets Liebe und Erbarmen finden.
Herr, hilf uns, an dieser Hoffnung
festzuhalten! AMEN
Liebe Gemeinde! Mit Jesus Christus ist also alles anders geworden. Er hat uns in die Welt Gottes hineingenommen – in der Sprache des Hebräerbriefes: Als großer Hohepriester hat er mit seiner Himmelfahrt den Weg zurückgelegt von der Erde bis zum Vater. Er hat den Weg zu Gott frei gemacht für alle, die an ihn glauben. Der Zugang zum Thron Gottes, dem Allerheiligsten, ist frei. Kein Vorhang versperrt ihn mehr. Am Karfreitag ist dieser Vorhang ein für alle Mal zerrissen. Darum halten wir fest an dem Bekenntnis vor aller Welt: „Jesus ist der Retter, er ist der Christus.“ Kürzestes Glaubensbekenntnis: Jesus Christus.
Nur der Mensch gewordene Sohn Gottes konnte der wahre, einzige und immerwährende Hohepriester werden. Er wurde Mensch und kennt unsere Schwäche. Er hat den drei großen Versuchungen widerstanden (Altartext!):
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1. Mach, dass diese Steine Brot werden – der Mensch lebt nicht vom Brot allein, Gottvertrauen ist wichtiger als Lebenserhaltung
2. Wirf dich hinab – sich einfach fallen lassen, Gott herausfordern, das gilt nicht; wir müssen mit Verantwortung und Rücksichtnahme auf uns selbst und andere leben
3. Die ganze Welt kann dir gehören, wenn du vor mir niederfällst – unsere Sehnsucht nach Macht steht gegen die Liebe; die Macht will die Selbstverwirklichung, die Liebe will die Hingabe; nichts gehört mir, alles gehört Gott; auch ich selbst
Jesus kannte also keine Sünde. Er, der Sündenlose, kann sich Gott nahen. Damit hat er den Weg frei gemacht, die Brücke geschlagen (PONTIFEX), auf der auch wir vor Gott treten können. Seitdem Christus zur Rechten Gottes sitzt, ist der Thron Gottes für uns zum Gnadenthron geworden. Durch seinen Tod am Kreuz hat er unsere Sünden abgewaschen mit seinem Blut. Und zwar endgültig, wenn wir uns zu ihm bekennen, ihm vertrauen. Von diesem Augenblick an sind wir frei, Erlöste.
Das Augsburger Bekenntnis drückt das so aus:
… dass wir Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit vor Gott nicht durch unser Verdienst, Werk und Genugtuung erlangen können, sondern dass wir Vergebung der Sünden bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnade um Christi willen durch den Glauben … SOLA FIDE – SOLA GRATIA
Alle Menschen, die an ihn glauben, nimmt Christus mit auf dem Weg zum Vater. Wir sind ja durch die Taufe zu Gliedern an seinem Leib geworden. Durch das Bekenntnis zu ihm sind wir Kinder Gottes. Als Herausgerufene sind wir Erben des ewigen Lebens.
Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Weil wir der neuen Schöpfung angehören, können wir uns Gott jederzeit nahen. Außer Jesus, dem Hohenpriester, brauchen wir keinen anderen Mittler oder Fürsprecher, um zu Gott zu gelangen. So dürfen wir ohne Scheu als Kinder unmittelbar vor Gott als unserem Vater treten. Wir sind nicht Gottes Enkel oder Nichten und Neffen, sondern Gottes Kinder.
Und weil wir so eng mit Christus verbunden sind, haben wir auch Anteil an seinem Priestertum. Martin Luther nennt es das „Priestertum aller Gläubigen“. Der Evangelische Erwachsenenkatechismus widmet dieser Berufung einen lesenswerten Abschnitt unter der Überschrift „Mündige Laien – Priestertum aller Gläubigen“. Ich zitiere daraus:
Priestertum aller Gläubigen bedeutet keine Übertragung des demokratischen Grundsatzes ‚Alle Gewalt geht vom Volk aus“ auf die Kirche, es meint auch nicht eine christliche Selbstversorgung der einzelnen Gläubigen ohne die Gemeinschaft. Es heißt vielmehr folgendes (vier Punkte):
 Die Getauften sind Glieder des Volkes Gottes und haben als Priester im Glauben und Gebet unmittelbaren Zugang zu Gott.
 Sie sollen sich als lebendige Steine in das Haus Gottes einfügen.
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 Als ein Opfer sollen sie sich ganz Gott hingeben.
 Sie sollen die Wohltaten Gottes verkündigen.
Priestertum aller Gläubigen meint also die Unmittelbarkeit der Christen vor Gott.
Beenden wir unsere Überlegungen, indem wir diese vier Kennzeichen des „allgemeinen Priestertums“ mit anderen Worten bedenken – und nehmen wir diese vier evangelischen Punkte heute mit nach Hause:
1. Als Getaufte sind wir Gottes Volk.
Wenn wir beten, sprechen wir direkt mit Gott. Er ist unser unmittelbares Gegenüber. Wir brauchen, um von ihm gehört zu werden, keine Mittler, weder Priester noch Heilige. Gott kennt unseren Glauben. Durch Christus hat er uns die Vollmacht eines Priesters übertragen.
2. Wir sind lebendige Steine in seinem Haus, der Kirche.
Jeder von uns hat seinen bestimmten Platz und seine bestimmte Aufgabe. Das verpflichtet jeden von uns, tätig zu werden und diesen seinen Platz auszufüllen. Das heißt auch, wir müssen die anderen, auf den Plätzen neben uns, stützen und halten.
3. Wir sollen Gott ein angenehmes Opfer sein.
Unser Herr Jesus sagt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit allen deinen Kräften. Das andere ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Ein Schriftgelehrter, der dies hörte, rief aus: „Das ist mehr als Brandopfer und Schlachtopfer.“ – Gott und den Nächsten an die erste Stelle in unserem Leben setzen, das ist unser Opfer.
4. Wir sollen die Wohltaten Gottes verkündigen.
Das bedeutet nichts anderes, als dass wir vor den Menschen unseren Glauben bekennen müssen. Indem wir den Menschen eine Antwort auf ihre Frage geben, die ja immer eine Frage ihrer Sehnsucht ist. HOMO DESIDERIUM DEI (Augustinus).
Und diese Frage lautet: Wer ist dieser?
Und unsere Antwort:
Christus ist das der Welt zugewandte Gesicht Gottes, das Wort, das Gott der Welt sagt, die Hand, die das Geschick der Welt lenkt. Was er sagt, ist Gottes Wort, was er tut, ist Gottes Werk. Wer an ihn glaubt, glaubt an Gott. Hier ist wirklich Gott selber unter uns erschienen.
AMEN
LIED: 362, 3+

Hier können Sie den Predigttext downloaden: