Predigt von Ines Charlotte Knoll
im ökumenischen Gottesdienst BLICKWINKEL,
am 16. Jänner, in der Augustinerkirche
Auch als PDF: gerechtigkeit

Gerechtigkeit, Gerechtigkeit – ihr sollst du nachjagen,
so steht es geschrieben im 5. Buch Mose.

Ich möchte beginnen mit einem bekenntnishaften Satz:
„Ich glaube daran, dass die verwundete Gerechtigkeit,
emporgehoben werden kann,
um die höchste Herrscherin unter den Menschen zu sein.“

Ein so schönes Seelenvorhaben des Martin Luther King,
seiner gedenken wir dieser Tage anlässlich der 90. Wiederkehr seines Geburtstages.
Diese wunderbare Glaubensaussage unserer Aufgabe zum Sein,
die auf ihre Weise den Ruf bekräftigt:
„Gerechtigkeit, Gerechtigkeit – ihr sollst du nachjagen“
empfiehlt uns das Wort der Gottessehnsucht an die Menschen gerichtet.

Ein so gutes Wort,
das die heimliche Frage beinhaltet:
Wem und was jage ich nach?
Welche Bilder vom Leben schweben mir vor
Was motiviert mich, konzentriert mich und hetzt mich in jedwede Richtung?

Es ist eine Hetzjagd der Egomaschinen,
die sich selbst und andere jagen in Richtung Macht und Gier,
angetrieben aus einem Nirvana der Wirschaftsinteressen
Die Jagd selbst aber ist ziellos.
Jeder hat sich selbst zum Ziel und findet sich nicht.
Es gibt keine Definition.
Die Folge ist eine schreiende Orientierungslosigkeit,
laut und still medial vertreten.

In einer Untersuchung zur „Jagdgesellschft von Thomas Bernhard heiß es:
„Alles wird zum Zeichen einer beängstigten Gefährdung,
die vage, aber augenscheinlich unumgänglich ist,
überall lauert und jeden betrifft.“

„Gerechtigkeit, Gerechtigkeit – ihr sollst du nachjagen“
ist das heisalme, richtungweisende Gegenwort
So sehr bedroht ist aus den Gründen des Hetzjagens –
man bedenke die Bedrohung der Ortodoxie in der Ukraine –
die Einheit der Christen …

Über das Anliegen der Gebetswoche für die Einheit der Christen heißt es:
Jedes Jahr versammeln sich Christinnen und Christen
weltweit zum Gebet um wachsende Einheit.
Wir tun dies in einer Welt, in der Korruption, Habgier und Ungerechtigkeit
zu Ungleichheit und Spaltung führen.
Wir beten einmütig in einer vielfach gebrochenen Welt,
und dieses Gebet ist machtvoll.
Allerdings machen wir uns als einzelne Gläubige
und als Gemeinschaften oft mitschuldig an Ungerechtigkeit.
Und doch sind wir gerufen,
einmütig für die Gerechtigkeit Zeugnis abzulegen
und Instrument der heilenden Gnade Christi für die gebrochene Welt zu sein.

Die Gebetswoche für die Einheit der Christen 2019
wurde von Gläubigen aus Indonesien vorbereitet,
jenem Inselland, das die größte muslimische Bevölkerung weltweit zählt.
Etwa zehn Prozent der indonesischen Bevölkerung sind Christen,
die verschiedenen Konfessionen angehören.
von jeher fragile Harmonie ist heute auf neue Weise bedroht.

Immer ist jedwede fragile Harmonie bedroht: privat, beruflich, persönlich.
Die Gefahr lauert überall und betrifft jeden und jede.

In diesen Tagen geht mir ein Gebet durch die Seele,
ich erinnere es aus meinen Jungendtagen,
darin ist die schreiende, schweigende Ungerechtigkeit
auf eine ganz eigene Weise Thema
Es ist das Gebet für Marilyn Monroe von Ernesto Cardenal,
ich möchte das ganze Gebet lesen:

Herr
nimm auf dieses Mädchen, in der ganzen Welt bekannt als
Marilyn Monroe,
wenn das auch nicht ihr wirklicher Name war
(doch Du kennst ihren wirklichen Namen, den Namen des kleinen Waisenkindes, das
mit neun Jahren vergewaltigt wurde,
und der Verkäuferin, die mit sechzehn Selbstmord versuchte)
und die nun vor Dir steht, ohne Schminke,
ohne ihren Presseagenten,
ohne Fotografen und ohne Autogramme zu geben,
allein wie ein Astronaut vor der Nacht des Weltraums.
Sie träumte als Kind, nackt in einer Kirche gewesen zu sein
(wie Time berichtete)
vor einer knienden Menge, die Köpfe geneigt bis zur Erde,
und sie mußte auf Zehenspitzen gehen, um die Köpfe nicht zu zertreten.
Du kennst unsere Träume besser als alle Psychiater.
Kirche, Haus, Höhle bedeuten die Sicherheit des Mutterschoßes,
aber doch auch mehr als das…

Die Köpfe, das sind die Bewunderer, das ist klar
(die Masse der Köpfe im Dunkel unter dem Strahl des Lichts).
Doch der Tempel ist nicht das Studio der 20th Century Fox.
Der Tempel – aus Marmor und Gold – ist der Tempel ihres Körpers,
aus dem der Menschensohn, eine Peitsche in der Hand,
die Händler der 20th Century Fox vertreibt,
die aus Deinem Gebetshaus eine Räuberhöhle gemacht haben.

Herr,
in dieser Welt, verpestet von Sünde und Radioaktivität,
sprichst Du nicht eine Verkäuferin schuldig,
die wie alle Verkäuferinnen davon träumte, ein Filmstar zu sein.
Und ihr Traum wurde Wirklichkeit (die Wirklichkeit in Technicolor).
Sie hat nur nach unserem Drehbuch gespielt
– dem unserer eigenen Leben –, und das Buch war absurd.

Vergib ihr, Herr, und vergib auch uns
für unsere 20th Century,
für unsere Monster-Super-Produktion, an der wir alle gearbeitet haben.
Sie war hungrig nach Liebe, und wir boten ihr Beruhigungsmittel.
Weil sie traurig war, keine Heilige zu sein, empfahl man ihr Psychoanalyse.
Denke, Herr, an ihre wachsende Angst vor der Kamera
und an den Haß auf die Schminke – sie bestand vor jeder Szene auf neuem Make-up
–,
und wie das Entsetzen zunahm
und die Unpünktlichkeit in den Studios.

Wie jede Verkäuferin
träumte sie davon, ein Filmstar zu werden.
Und ihr Leben war unwirklich wie ein Traum, interpretiert und archiviert von einem
Psychiater.
Ihre Romanzen waren Küsse mit geschlossenen Augen,
bei denen man, wenn man die Augen aufschlug,
ins Scheinwerferlicht starrt, und dann gehen die Scheinwerfer aus.
Und man baut die beiden Wände ab (es war eine Filmszene),
während der Regisseur mit dem Drehbuch fortgeht, weil die Szene nun schon
gedreht ist.
Oder wie die Reise auf einer Jacht, ein Kuß in Singapur, ein Ball in Rio,
der Empfang in der Villa des Herzogs und der Herzogin von Windsor,
gesehen vom Zimmer einer erbärmlichen Wohnung aus.
Der Film ging zu Ende ohne den Kuß im Finale.

Man fand sie tot in ihrem Bett, ihre Hand am Telefon.
Und die Detektive fanden nicht heraus, wen sie anrufen wollte.
Es war,
als habe jemand die Nummer der einzigen freundlichen Stimme gewählt
und nur die Stimme vom Band gehört, die sagt: wrong number.
Oder als habe jemand, von Gangstern überfallen,
die Hand nach dem unterbrochenen Telefon ausgestreckt.

Herr,
wer immer es auch war, den sie anrufen wollte
und den sie nicht erreichte (und vielleicht war es niemand
oder jemand, dessen Nummer nicht im Telefonbuch von Los Angeles steht)
antworte du Ihrem Anruf!

Ich glaube daran, dass die verwundete Gerechtigkeit,
emporgehoben werden kann,
um die höchste Herrscherin unter den Menschen zu sein.

Wodurch kann das geschehen, wovon Martin Luther King träumt,
wie können Fragmente von Hoffnung sich bewahrheiten,
ein Vorschein der Liebe aus ewig in den Herzen?
Ich glaube, durch Wachheit und Engagement!

Und ich kann es mir nicht verkneifen, Thomas Bernhard
an just dieser Stelle zu Wort kommen zu lassen,
weil er die Zerrissenheit des Menschen
in einem seiner wunderbaren Psalmen zur Sprache hat kommen lassen
und dass wir dennoch etwas tun und sein können
der Gerechtigkeit!:

Was ich tue, ist schlecht getan,
was ich singe, ist schlecht gesungen,
darum hast Du ein Recht auf meine Hände
und auf meine Stimme.
Ich werde arbeiten nach meinen Kräften.
Ich verspreche Dir die Ernte.
Ich werde singen den Gesang der untergegangenen Volker.
Ich werde mein Volk singen.
Ich werde lieben.
Auch die Verbrecher!
Mit den Verbrechern und mit den Unbeschützten
werde ich eine neue Heimat gründen
Trotzdem ist, was ich tue, schlecht getan,
was ich singe, schlecht gesungen.
Darum hast du ein Recht auf meine Hände und auf meine Stimme.

Durch mich kann sich ein Fragment der Hoffnung bewahrheiten,
dass mein Trachten und Sinnen in die richtige Richtung zielt.
Herzwärts, lichtgelenkt, im Glauben dem Dasein verbunden,
wie Martin Luther King sagt:

Ich glaube daran, dass die verwundete Gerechtigkeit,
emporgehoben werden kann,
um die höchste Herrscherin unter den Menschen zu sein.
+ Amen