Ökumenisches Gebet für Europa
5. Mai 2019, Lutherische Stadtkirche, Dorotheergasse
Predigt: em.Weihbischof Helmut Krätzl
„Europa braucht das Christentum“
Das ist kein Werberuf einer allzu selbstbewussten Kirche, es ist ein Ruf Gottes an Paulus (Apg 16, 9). Er hatte vor, die Provinz Asien weiter zu missionieren. Da hat er in der Nacht eine Vision. Ein Mazedonier stand da und bat ihn: „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns. Auf diese Vision hin wollten wir sofort nach Mazedonien abfahren, denn wir waren überzeugt, dass uns Gott dazu berufen hat, dort das Evangelium zu verkünden.“ (Übrigens ist interessant, dass der Papst morgen nach Nord-Mazedonien fährt.)
Lange bevor man sich aus ökonomischen und politischen Gründen um ein geeintes Europa kümmerte, war das Christentum in Europa schon weit verbreitet. Bischof Bünker hat einmal gesagt: „Kirchen sind älteste Player in Europa“.
Das Christentum hat Europa viele Schätze gebracht, auf der Ebene der Wissenschaft und Kunst, aber auch im sozialen Einsatz. Gleichzeitig aber hat die Kirche und haben später die Kirchen dazu beigetragen, dass Europa gespaltet wurde. Eine große Mitschuld lag in der Ausübung des Papstamtes. Schuld daran waren Machtkämpfe der Adelsfamilien um den Papstthron. Im Mittelalter gab mehrmals ein Schisma, wo man nicht mehr wusste, wer der rechtmäßige Papst eigentlich sei. Und ab 1309 saß der römische Bischof über 70 Jahre in Avignon unter dem politischen Einfluss Frankreichs.
Verschiedentlich gab es Versuche einer Reform. Auch Luther wollte keine neue Kirche, sondern die eine Kirche Jesu Christi, in der er ja aufgewachsen war, reformieren. Die römische Kirche war aber zunächst zu einer Reform nicht bereit und exkommunizierte Luther 1521. Dann hat sich auch die Politik dieser Kirchenspaltung bemächtigt. Im Augsburger Frieden 1555 wurde festgesetzt, dass jeweils der Landesherr die Konfession seiner Untergebenen bestimmen kann und andere, die dem nicht folgten, wurden ausgewiesen.
Europa braucht das Christentum.
Das meint zunächst die Prägung durch christliche Werte. Im laufenden Volksbegehren „Ethik für alle“ wird derzeit argumentiert, dass man den Religionen nicht die Werte überlassen dürfe. Aber wem dann? Gibt es eine reine, objektive Ethik, die weltanschaulich ungebunden ist? Selbst Agnostiker schätzen heute religiöse Werte. In Deutschland hat z. B. Gregor Gysi von den Linken von einer gottlosen Gesellschaft gewarnt. Er meint, zurzeit können einzig die Kirchen grundlegende Moral- und Wertevorstellungen allgemein verbindlich in der Gesellschaft prägen.
Was sind nun die christlichen Werte? Jesus hat sie selbst seinen Jüngern verkündigt, vorgelebt und sie ausgesandt, sie auszubreiten. Vor allem finden wir sie in der sogenannten Bergpredigt. Selig, die keine Gewalt anwenden. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit. Selig die Barmherzigen. Jesus trägt seinen Jüngern besonders die Nächstenliebe auf, die nicht einmal den Feind ausschließt. Und auf die Frage des Petrus, wie oft man jemand verzeihen muss – er meint etwa 7 Mal. Meint der Herr: 77 Mal. Das heißt wohl allemal.
Das sind die Werte, mit denen sich die Welt so schwer tut. Aber gerade sie schaffen die Möglichkeit gegen aggressiven Nationalismus anzukämpfen und den rechten Umgang mit Andersdenkenden, anderen Religionen, Menschen anderer Sprachen und mit den Migranten zu finden. Und am Ende unseres Lebens wird Gott uns nicht fragen, aus welcher Kirche wir kommen, welche Lehre wir verteidigt haben und welche Macht wir im Namen Jesu ausgeübt haben, sondern, wie wir mit den Menschen umgegangen sind. (Matthäus Kap. 25). Dort lesen wir: „Ich war hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben. Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich nicht aufgenommen. Denn was ihr dem Geringsten meine Brüder nicht getan habt, habt ihr mir nicht getan“. Hier ist also die Quelle dessen, was Christsein bedeutet, weit über theologische Fragen hinaus oder noch so schön gestaltete Liturgie. Und im Geiste stehen vor uns die vielen Hungrigen in der Welt, vor allem aber auch Flüchtlinge und Migranten, die im Meer ertrinken und an unseren Grenzen warten. Da und dort wird die berechtigte Frage gestellt: wer sich heute noch zu einer christlichen Politik bekennen darf.
Die Politik sucht größere Einheit in Europa
Ganz unabhängig von der Kirche gab es nach dem 2. Weltkrieg Bemühungen zu einer größeren Einigung Europas in Politik und vor allem in der Wirtschaft. Die Pioniere dieser Versuche waren alle bekennende Christen. Robert Schumann, der die Montanunion gründete, Konrad Adenauer und in Italien Alcide De Gaspari. Die Erweiterung geht Hand in Hand mit den Veränderungen in den einzelnen Ländern, z. B. mit dem Ende des Kommunismus, an dem wohl gerade wieder ein Papst mitgearbeitet hat (Johannes Paul II.).
Inzwischen haben auch die Kirchen ihre Mitverantwortung erkannt. Vorbereitend wirkte die ökumenische Bewegung aus den 1920er Jahren. Die Evangelischen Kirchen gründeten 1959 die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und die katholischen Bischöfe versammelten sich seit 1971 in einer eigenen Konferenz (CCEE), der lange Zeit Kardinal Martini vorstand. Inzwischen gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen KEK und CCEE.
Prägend für ein vereinigtes Europa sind drei ökumenische Versammlungen zum Thema Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung. 1989 in Basel, 1997 in Graz und 2007 in Sibiu, wo man versucht hat, auch die orthodoxen Kirchen miteinzubeziehen
Europa braucht das Christentum.
Braucht eine christliche Seele. Daher ist die Zukunft Europas eine große Herausforderung für alle Christen, aber auch für die christlichen Kirchen. In 3 Punkten möchte ich diese Herausforderung zusammenfassen.
1. In der Verkündigung
Sie müsste immer zeitnah und gegebenenfalls auch durchaus kritisch sein, denn Jesus ruft unsere Verantwortung im Heute heraus. Zu den vielen Bildungsveranstaltungen wünsche ich mir einen intensiveren Dialog mit Andersdenkenden, auch Nichtglaubenden. Und schließlich die Bildung der Jugend. Hier ist der Religionsunterricht unverzichtbar. In Ergänzung zur Ethik wird dort die Verantwortung des jungen Menschen vor Gott betont, vor allem aber auch seine Aufgabe, sich um die Erhaltung der Schöpfung zu mühen, die Gott ja dem Menschen anvertraut hat. Wie wir merken, ist die Jugend gerade hier besonders ansprechbar, wie Greta, das 16-jährige Mädchen aus Schweden, zeigt.
2. Die gemeinsame soziale Verantwortung.
Wir legen Wert auf die Eigenständigkeit unserer kirchlichen Einrichtungen, die vor allem auch in der ökumenischen Zusammenarbeit sehr gut funktionieren. Dazu haben wir uns auch in einem gemeinsamen Sozialwort vor mehr als 10 Jahren verpflichtet. Dazu gehört aber sicher auch die Betreuung der Flüchtlinge und Migranten. Auch ihre Beratung ist uns ein Anliegen und wohl eine wichtige Ergänzung dessen, was staatlicherseits geschieht.
3. In der Ökumene der christlichen Kirchen sollen wir vorleben
wie es trotz Unterschiedlichkeit Einheit geben kann, die sogar gegenseitig befruchtet. Wir sollten Europa mit vielen Kulturen und Denkrichtungen ein Beispiel geben, wie dennoch eine noch viel größere Einheit möglich ist. Wir werden in dieser Feier Brot segnen und austeilen. Es ist dies kein eucharistisches Brot. Aber es soll die Sehnsucht in uns wachrufen, doch auch das eucharistische Mahl bald offiziell miteinander teilen zu können. 1999 hat es die gemeinsame Erklärung über die Rechtfertigung gegeben. Kardinal Kasper hat damals gesagt, er könnte sich vorstellen, dass nun bald etwas Ähnliches auch über die Eucharistie vereinbart werden könnte. Das ist nun 20 Jahre her und offiziell ist nichts geschehen. Allerdings die Sehnsucht wird da und dort größer und ich danke vor allem den konfessionsverbindenden Ehen, die das immer mehr fordern, ja selbst auch im Alltag schon praktizieren. An einem Tisch zu sitzen ist immer ein besonderes Zeichen der Einheit. Warum sind da noch so viele Plätze leer?
Europa braucht das Christentum, braucht eine christliche Seele.
Das ist Herausforderung für jeden einzelnen Christen, aber auch für die Gemeinschaft christlicher Kirchen.
Ich möchte mit Worten aus dem Gebet von Kardinal Martini schließen:
Gib, dass wir voll Vertrauen unsere Aufgabe annehmen,
jenes Bündnis zwischen den Völkern zu unterstützen und zu fördern,
durch das allen Kontinenten zuteil werden soll
die Gerechtigkeit und das Brot,
die Freiheit und der Friede.
Amen