Predigt über das Erinnern und Vergessen

Auch als PDF try-to-remember-predigt-für-den-23.-septmebr-2018
Einspielung von „Try to Remember“, gesungen von Harry Belafonte

Try to remember the kind of September
When life was slow and oh
so mellow.

Try to remember the kind of September
When grass was green and grain was yellow.
Try to remember the kind of September
When you were a tender and callow fellow.
Try to remember and if you remember
then follow
follow.

Try to remember when life was so tender
When no one wept except the willow.
Try to remember when life was so tender
When dreams were kept beside your pillow.
Try to remember when life was so tender
When love was an ember about to billow.
Try to remember and if you remember
then follow
follow.

Deep in December it’s nice to remember
Although you know the snow will follow.
Deep in December it’s nice to remember
Without a hurt the heart will hollow.
Deep in December
it’s nice to remember
The fire of September that made you mellow.
Deep in December our hearts should remember and follow
follow.

Songwriter: Harvey Schmidt / Tom Jones

Versuch dich an die frühen September zu erinnern
Als das Leben besinnlich war und auch
so sanft.

Versuche dich an die frühen September zu erinnern
als das Gras grün war und das Getreide gelb,
Versuche dich an die frühen September zu erinnern
Als du ein junger und rauer Kerl warst.
Versuche dich zu erinnern und wenn die Erinnerung kommt,
dann folge ihr,
folge ihr.

Versuche dich daran zu erinnern, als das Leben so zart war,
Als niemand weinte außer der Trauerweide.
Versuche dich daran zu erinnern, als das Leben so zart war
als Träume neben deinem Kissen aufbewahrt wurden.
Versuche dich daran zu erinnern, als das Leben so zart war
als die Liebe eine Glut war, die sich über dir wölbte.
Versuche dich zu erinnern und wenn die Erinnerung kommt,
dann folge ihr,
folgen ihr.

Tief im Dezember ist es schön sich daran zu erinnern
Obwohl du weißt, dass der Schnee folgen wird.
Tief im Dezember ist es schön sich zu erinnern,
sogar an die Verletzungen deines Herzens.
Tief im Dezember
ist es schön sich zu erinnern
an die Feuer des Septembers, die dich weich gemacht haben.

Tief im Dezember sollten sich unsere Herzen erinnern und der Erinnerung folgen,
folgen.

Try to remember –
Versuche Dich zu erinnern.

Wir kennen das – aus unseren Leben.
Der Gedanke: Das habe ich vergessen.
Ich kann mich einfach nicht erinnern.
Namen, Begebenheiten, Dinge, die lieben bleiben irgendwo,
die verschwinden ins Nirgendwo …

Wir erleben es aneinander, das Vergessen.
Auch das Verbrechen an Vergessen …

Wer es je erlebt hatm das persönliche Vergessen, weiß, was Kurt Marti meint:

er wurde alt
er wurde alt
und vergass
was ist

er wurde alt
und wusste
nur noch
was früher gewesen

er wurde alt
und vergass
was früher gewesen

er wurde alt
und vergass
vorgestern
sich selbst …

Arno Geiger hat das im Gedicht empfundene in dem  Roman zum Ausdruck gebracht:
Der König in seinem Exil:

„Weil man als Kind seine Eltern für stark hält und glaubt, dass sie den Zumutungen des Lebensstandhaft entgegentreten, sieht man ihnen die allmählich sichtbar werdenden Schwächen sehr viel schwerer nach als anderen Menschen. … Da mein Vater nicht mehr über die Brücke in meine Welt gelangen kann, muss ich hinüber zu ihm … Die Abende sind es, die einen Vorgeschmack auf das liefern, was bald schon der Morgen zu bieten haben wird. Denn wenn es dunkel wird, kommt die Angst. Da irrt der Vater rat- und rastlos umher wie ein alter König in seinem Exil. Dann ist alles, was er sieht, beängstigend, alles schwankend, instabil, davon bedroht, sich im nächsten Moment aufzulösen. Und nichts fühlt sich an wie zu Hause …“

„Ich begreife das alles nicht!“, sagte der Vater immer wieder, ein Kommentar zur
Undurchschaubarkeit der Mechanismen, in die er sich gezogen fühlte. Und kategorisch der
Nachsatz: „Ich bin nichts mehr …
Ja, ja, es war einmal. Meine Anfänge, die sind kraftvoll gewesen.
Aber jetzt bin ich alt“.

Was bleibt?

Es bleibt das Sich-Einlassen, die Begegnung im Augenblick:
Und dass hier das wirkliche Leben ist,
wo Leben das Leben sich jetzt selber leben lässt:

Die tiefste und wesentlichste Qualität des Augenblicks ist,
dass er Bruchstücke von Ewigkeit in sich birgt.

Paul Tillich hat darüber formuliert:
„Dies hängt damit zusammen, dass die Zeit die Macht hat,
die Ewigkeit in sich aufzunehmen.“
Ist das nicht wunderschön?
Das Geheimnis des erfüllten Augenblicks ist die Ewigkeit!
Die Ewigkeit ist der eigentliche Qualitätsbegriff der Zeit!
Ewigkeit, das meint die Aufhebung der Zeit
in einer höheren, umfassenderen Dimension.
Jeder Augenblick ist aufgehoben in der Ewigkeit.
Das Wunder des Augenblicks ist eine Ewigkeitserfahrung.
Der Wert des Augenblicks liegt darin,
dass er zu einer Schnittstelle mit der Ewigkeit wird
und mit dem ewigen, starken, liebenden Gott in Berührung bringt.
„Der Augenblick ist Ewigkeit.“

Diese Gleichung hatte Goethe aufstellen können.

„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“
heißt es mit dem Spruch zur Woche!

Es bleibt das Wort vom Anfang,
in dem alles und jedes gehalten ist,
der Mensch, der mir entschwindet,
ich, die, der ich entschwinde.

Und wenn die Gedanken auch vergehen,
meine Gedanken, in Worte nicht mehr zu fassen,
wird es da nicht von unendlichem Wert sein,
wenn einfach einer nur da ist für den anderen, die andere,
die sich nicht mehr zu Recht findet?

Ein Mensch mag alles Gedachte vergessen,
aber nicht sein Herz, nicht seine Seele.
Das Herz erinnert sich,
die Seele erinnert sich!

Und hoffentlich in der Tiefe an das, was T.S. Eliot gesagt hat
„Sei still und lass das Dunkel über dich kommen.
Es wird das Dunkel Gottes sein“

Kurt Marti – jetzt gegendert 😉

sie wurde alt
sie wurde alt
und vergass
was ist

sie wurde alt
und wusste
nur noch
was früher gewesen

sie wurde alt
und vergass
was früher gewesen

sie wurde alt
und vergass
vorgestern
sich selbst

sie wurde jung
jetzt da sie
auch das vergessen
vergass

Das Leben und alles Vermissen darin
auch denken und glauben als Annäherung an das Glück!

Wie ich das meine, sagt Henning Luther in seinem
„Leben als Fragment. Der Mythos von der Ganzheit“:
Wir sind immer … auch …. Ruinen unserer Vergangenheit.
Fragmente zerbrochener Hoffnungen, verronnener Lebenschancen
Andererseits ist jede erreichte Stufe unserer Entwicklung
… ein Fragment aus Zukunft.
Es verweist uns positiv nach vorn. …
Unser Leben erwächst immer aus diesem Überschuss an Hoffnung.“

Wenn wir aber das Vergessen
im Licht der göttlichen Erinnerung neu sehen,
erkennen wir in der Krankheit Altheimer
ein Sinnbild
und ein Mahnmal für das Menschliche im Torso unserer
fragmentarischen Existenz. (Ralph Kunz,)

Aus jedem Punkt macht Gott einen Doppelpunkt, hatte Karl Barth gesagt. Darum:

Lobe den Herrn meine Lobe den Herrn, meine Seele,
und was in mir ist, seinen heiligen Namen!
Lobe den Herrn, meine Seele,
und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:

: + Amen!