Predigt für den 21. Sonntag nach Tinitatis, 21. Oktober 2018
Auch als PDF: herbsttag-2018
1. Korinther 7, 29-31
Das sage ich aber, liebe Brüder, liebe Schwestern:
Die Zeit ist kurz.
Fortan sollen auch die, die Frauen haben, die Männer haben, sein,
als hätten sie keine;
und die weinen, als weinten sie nicht;
und die sich freuen, als freuten sie sich nicht;
und die kaufen, als behielten sie es nicht;
und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht.
Denn das Wesen dieser Welt vergeht.
Die Predigt
„Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben…“
Wir erinnern uns – Rainer Maria Rilke…
Wie eigen sie gedrängt wird die Zeit in diesen Wochen – Herbst.
Wenn die Zeit getrieben wird in dieses ganz eigene Maß
durch alle die Winde und Wetter und Lichter in den Bäumen
und selbst noch in der Täuschung, wenn Föhne sind wie in diesem Jahr…
Ich habe ihn immer geliebt den Herbst.
Kastanien waren mir immer das Zeichen, auch in diesem Jahr,
und ein Glück in mir hat gefühlt:
Er ist wieder da und mit ihm die Tiefe der Wahrheit –
„in der Tiefe ist Wahrheit“ (Tillich) – der Herbst:
Und die Blätter und der Nebel
und die gezogenen Abende erzählen uns auf ihre Weise,
was Paulus uns predigt:
„Die Zeit ist kurz.“ Sie ist einen Andrang gebracht.
Die Gestalt, „das Wesen dieser Welt vergeht“:
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein…
Etwas soll zu seinem Ende kommen in dieser Zeit.
Und die Bilder sollen sich nach innen kehren.
Oder wir werden immer mehr zu dem, zu der,
die wir sein wollen und sollen
– angezeigt wird uns dies in der immerwährenden Wiederkehr des Jahreslaufes,
im Abschied, den wir fühlen.
Ich komme dieser Welt abhanden.
Die innere Uhr tickt nach dem eigensten Maß der Zeit:
die Ewigkeit uns ins Herz,
die in uns ja ins Herz gelegt ist von Anbeginn…
„Der Sommer geht vorbei,
und all seine Lieder
legen sich bis zum Mai
zum Sterben nieder.
Der Sommer geht vorüber,
mit ihm ein Fetzen Leben,
die Tage merklich trüber,
das Herz schlägt leicht daneben.
Der Sommer geht vorbei,
und mit ihm stirbt mein Sehnen,
die letzte Liebelei,
die Lügen und die Tränen.
Der Sommer geht dahin,
die Frage wird zur Qual:
Wer weiß, ob ich noch bin
beim nächsten Mal?
Der Sommer geht vorbei,
doch dieses Sterben
wird bald, wie nebenbei,
ein Blühen werden.“ (Konstantin Wecker)
Ja. „Die Zeit ist kurz. Fortan sollen wir haben, als hätten wir nicht!;
und wir sollen weinen, als weinten wir nicht;
und freuen sollen wir uns, als freuten wir uns nicht;
und kaufen, als behielten wir es nicht –
klingt ja sehr nach der Weltkrise, aber Paulus hat es noch ganz anders gemeint –
und diese Welt gebrauchen, als brauchten wir sie nicht.
Denn das Wesen dieser Welt vergeht.
Und doch haben wir, als hätten wir ewig,
und unsere Hände greifen nach den Dingen und dem Kunstobjekt
wie nach dem Gemälde des britischen Streetart-Künstlers Banksy:
Das Mädchen mit dem Ballon.
Dieser wunderbare Künstler mit der scharfen Kapitalismus-Kritik,
der sein Bild zerschreddern ließ vor den Augen der Auktionäre …
Mit ist das Ganze auch ein Bild für das geschredderte Leben.
Die Abtreibungen, die jetzt geschehen, weil die pränatale Diagnostik verfeinert ist.
Kinder werden jetzt auch wegen der Wahl des Geschlechtes abgetrieben …
Der Theologe Rudolf Bultmann hatte so schön gesprochen von der Richtung, die wir nehmen und leben sollen: als Entweltlichte mögen wir leben,
nicht aufgehen in der Vergänglichkeit Maß…
„Solche Entweltlichung,
als welche man die christliche Haltung bezeichnen kann,
… verweist den Menschen ausdrücklich in sein geschichtliches Leben
mit seinen Begegnungen und Verpflichtungen,
seinem Schicksal und seinem Ruf zur Tat hinein.
… Im Glauben … kann die göttliche Welt präsent sein.
Das Weltverhältnis des Glaubenden ist ein dialektisches, jenes
„haben, als hätte man nicht’, von dem Paulus redet…
Entweltlicht ist der Glaubende darin,
dass er in keiner besessenen Erkenntnis die Wahrheit zu haben meint,
sondern vergessend, was hinter ihm liegt,
sich immer neu nach dem ausstreckt, was vor ihm liegt…
Solcher ‚Entweltlichung’ entspricht es,
dass sich die christliche Existenz nicht im Werk, sondern im Glauben vollzieht…“
Die Worte des Paulus, sie sind ein Triumph über die Zeit und das Maß,
das wir in sie legen. Innere Kraft und eine tiefe Freude klingt durch.
Paulus schreibt als einer, der vom Glauben ergriffen und erfasst ist:
denn:
Alles ist von Zukunft erfüllt, nicht von einer Zukunft,
die von uns und von dem, was wir schaffen, getragen wird.
Es ist aber die Zukunft von dem, der bereits gekommen ist.
Paulus rechnet mit Christus, der den Stachel des Todes bereits gebrochen hat:
„Ich lebe und ihr sollt auch leben.“
Das ist der wahre Grund, der der Zeit innewohnt: der Gottesgrund:
Darum ist sie kurz, die Zeit, sie muss es uns sein.
Und wir sollen es ruhig an uns selber und an den anderen sehen:
der oder die ist ganz schön alt geworden.
Schön, es ist ja schon die Schöne des Jenseits, die durchscheint
– immer – von Anbeginn…
Und so das Leben lieben –
alle Freuden, die unendlichen, alle Leiden, die unendlichen ganz –
in dem Erstling der Entschlafenen.
Das Wesen dieser Welt vergeht, geht hin, geht auf in der Ewigkeit und Du und ich:
„Der Mensch als solcher hat … kein Jenseits.“
Das hat Karl Barth gesagt. Herrliche Worte vom Grund:
„Der Mensch als solcher hat also kein Jenseits.“ Du nicht – ich nicht.
„… und er bedarf auch keines solchen; denn Gott ist sein Jenseits:“
Gott ist Dein und mein Jenseits!
Ist die Garantie, die Dir und allem Leben eingeschrieben ist in der sterblichsten,
Deiner persönlichen, sterblichen Hülle.
„Dass er, Gott, als des Menschen Schöpfer, Richter und Retter sein … treues Gegenüber war, ist und sein wird, das ist des Menschen Jenseits.“
Er wird Dich – mit allem Endlichen hinüberholen ins große Ganze:
Und die Zeit wird verwandelt in ihr Wesen aus Ewig!
Und die Zeiger der Uhr werden das Lied des Ewigen ticken.
Und
„Wenn das Vollkommene kommt, wird das Stückwerk aufhören.“
+ Amen.