1. Sonntag nach Epiphanias

Lutherische Stadtkirche 13.1.2018

In jenen Tagen sprach Josua zum Volk: Heiligt euch, denn morgen wird der Herr Wunder unter euch tun. Und Josua sprach zu den Priestern: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her. Und der Herr sprach zu Josua: Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein. Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen.

Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des Herrn, eures Gottes! Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist: … Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan… Und die Priester, die die Lade des Bundes des Herrn trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.

Jos 3,5-11.17

Hier können Sie den Predigttext downloaden:

Jahrzehnte ist es her, dass ich in der Volksschule die Geschichte hörte, wie Mose das Volk Israel auf der Flucht aus Ägypten trockenen Fußes durchs Rote Meer geführt hat.

Bei diesem Abschnitt aus dem Buch Josua stellt sich wohl bei allen, die damals im Religionsunterricht aufgepasst haben, eine Art deja vue ein:
Das hab ich doch schon gehört und gelesen.
Auch wenn die Einzelheiten nicht übereinstimmen:
Damals war’s das Rote Meer. Jetzt ist es der Jordan.
Der Anführer ist nun nicht mehr Mose, sondern Josua.

Aber es geht gar nicht um die Anführer.
Es ist keine Heldengeschichte, schaut, welch großartige Führungsqualität der Mose, der Josua gehabt hat.
Beiden Anführern entzieht die Doppelung der Geschichte, den Ruhm ein toller Kerl zu sein. Eine Heldentat ist wohl nur dann eine Heldentat, wenn sie einzigartig ist und bleibt.
Also schauen wir weg von den Helden und hin zu den wandernden Menschen und zu dem, der mit ihnen unterwegs ist.
Das Wasser, das es zu überqueren gilt, ist hier der Jordan.
Nein, sie werden nicht sterben,
wie die Redensart über den Jordan gehen suggeriert.
Aber sie werden mit dem Jordan schon auch eine Grenze überschreiten.
Das Leben das sie bisher, 40 Jahre lang geführt haben,
wird es danach nicht mehr geben.
40 Jahre durch die Wüste wandern.
Heute hier, morgen schon wieder wo anders lagern.
Heute das Zelt aufschlagen neben der Familie von Nathan.
Morgen neben der Familie von Ruben. Wie es halt grad kommt.
Auf der Suche nach Wasser und Nahrung.
Immer wieder auch von anderen nomadisierenden Gruppen bedroht.

Dort drüben auf der anderen Seite erwartet sie die Sesshaftigkeit.
Die Israeliten konnten wunderbar Zelte hinstellen.
Ob sie auch feste Häuser aufbauen können, wird sich erst zeigen.
Ein kommunales Gemeinwesen organisieren.
Ihre Nachbarn werden für immer ihre Nachbarn sein.
Werden wir uns vertragen?
Ja und auch die Feinde, die Kanaaniter sind ein anderes Kaliber als die nomadisierenden Gruppen, denen sie in der Wüste begegnet sind.

Es muss ja nicht immer der Jordan sein.
Es genügt ein Schulwechsel, eine Übersiedlung. Ein neuer Arbeitsplatz.
Der Eintritt in die Pension, eine Scheidung, eine Hochzeit, ein Auslandsemester…
Selbst der Tag der Entlassung aus dem Gefängnis kann beängstigen.

Berechtigt ist die Besorgnis, ob ich es auch schaffen werde wohl in allen Fällen.
Berechtigt ist die Angst vor dem Neuen, das da kommt.

Wie das Leben nach einem Neuanfang sein wird, liegt ja außerhalb jeder Erfahrung. Denn dort auf der anderen Seite des Jordan erwartet mich etwas, für das ich noch keine Routine entwickelt habe. Es erwartet mich etwas, womit ich mich noch nicht auskenne. Meine Großmutter hat mir dafür kein Rezept hinterlassen und mein Vater hat mir es nicht vorleben können.

Wenn sich also kurz vor dem Überschreiten der Grenze,
eine gewisse Beklommenheit einstellt,
wenn die Knie weich werden und das Herz heftig klopft,
dann gibt es Leute, die sich für sehr klug halten, und sagen:

Was stellst du dich so an.
Niemand hat dich gezwungen, über den Jordan zu gehen.
Du hast dich doch freiwillig für ein Leben in sesshaften Verhältnissen entschieden.
Du bist doch selbst aus dem Nomadenleben ausgestiegen.

Josua ist keiner von denen.
Er trägt seinen Leuten auf: Heiligt euch bevor wir über den Jordan gehen.

Was genau bedeutet das, sich heiligen?

Es ist so ziemlich genau das Gegenteil von dem was sich anhört wie diese wohlgemeinten Sprüche:
Sei stark. Du schaffst das.
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Selbst ist der Mann. Selbst ist die Frau.

Es ist vielleicht ein bisschen ungewöhnlich, wenn ich jetzt von einem Radio Interview erzähle, das für mich diese Frage unüberbietbar geklärt hat.

Vor wenigen Monaten ist Michael Chalupka nach 24 Jahren als Leiter der Diakonie zurückgetreten.
Das Interview mit ihm hat der ORF gleichsam am Ufer des Jordans geführt.
Nach einem ausführlichen Rückblick über diese 24 Jahre kam auch die Frage:
Wo sehen Sie sich in drei Jahren?
Also: Wie wird dein Leben jenseits des Jordan ausschauen?
Was sind deine Ziele dort? Was wirst du dir dort aufbauen?
Michael Chalupka hat in seiner trockenen Art geantwortet:
Ich sehe mich gar nicht. Ich habe keine Ahnung.
Aber ich bin sicher, der Heilige Geist, weiß, was er mit mir vorhat.

Heiligt euch!
Seit diesem Interview verstehe ich das so:
Halte erst einmal inne.
Verzichte darauf, dir das Leben jenseits des Jordan vorzustellen.
Sowohl die Schrecken als auch die Herrlichkeiten.
Gib die Vorstellungen und Träume und Fantasien von der Welt und dem Leben dort drüben auf.

Und lass dich leiten von dem, der schon Israel geleitet hat.
Lass dich hinüber bringen von dem der voran geht.
Er macht sich als erster die Füße nass.

Lass dich empfangen von ihm dort drüben am anderen Ufer,
wenn du über den Jordan gehst.
Ob das nun einen neuen Abschnitt hier in deinem irdischen Leben bedeutet,
oder es der letzte endgültige Übergang ist.

Und genau das, sage ich denen, die ich im Gefängnis besuche.
Denen, die sich vor dem Tag der Entlassung fürchten,
weil das Land jenseits des Jordan für sie gefährlicher erscheint
als die Leben hinter Gefängnismauern.

Es ist ja doch immer alles ganz anders als ich mir vorstellen kann,
dieses Neue dort drüben am anderen Ufer.

So gesehen stehen wir ja an jedem Abend am Ufer des Jordan.
Denn niemand weiß, was am nächsten Morgen auf der anderen Seite für Aufgaben und Herausforderung auf mich warten.
Wohin Gottes Geist uns treiben wird.

Was ich aber sicher sagen kann:
Der mich bis hierher ans Ufer geführt hat,
der mich begleitet durch das Wasser,
der wird auch da sein, wenn mich all das Neue und Fremde umzuwerfen droht.
Der wird mir die nötige Kraft geben, dort aufzubauen, was es zu bauen gilt.
Er wird mir auch die Weisheit geben, von Dingen meine Finger zu lassen,
die für mich nicht passen.

 

Und dafür sei Gott Lob und Preis in Ewigkeit.